Aufbruch im Herbst

Ein Rückblick des ersten Reisequartals

Frei sein. Draussen sein. Den Kopf leer bekommen. Das waren nur drei von unseren Erwartungen, welche wir an die aktuelle Reise stellten. Wir; Nadine und Yannick. Ein Paar welches sich nicht in irgend eine Schublade stecken lässt, hat sich in den Kopf gesetzt die Welt zu entdecken. Für Nadine das erste Mal in diesem Umfang, für Yannick das zweite Mal.

Oktober 2022

Wir beide starten mit tausend Wünschen und noch mehr Ideen im Kopf. Nach knapp einem Jahr Vorbereitung war es dann im Oktober 2022 soweit, dass die Wohnung von Nadine und unsere beiden Jobs per Ende September aufgelöst resp. gekündigt waren. Nun sollten wir doch bereit sein. Mit unserem Sack und Pack. Mit unseren Fahrrädern. Losfahren in Richtung Sonne. Unsere Veloreise des Lebens zu starten. Doch leider gab es gleich zu Beginn einen kleinen Rückschlag. Fehlende Teile, lange Lieferfristen und Wartelisten für Impfungen verzögern die Abfahrt.

Mitte Oktober. Wir sind geimpft. Doch die erwarteten Ersatzteile und Sim-Karte sind noch immer nicht eingetroffen. Wir müssen los, der Winter kommt immer näher. So ging es also am Nachmittag vom 18. Oktober 2022 los. Vollgepackt und untrainiert fühlte es sich viel zu schwer an. Doch wir beginnen zu rollen. In Hochdorf vom Elternhaus von Nadine geht es langsam westwärts in Richtung Heimat von Yannick. Noch ist nicht alles organisiert. Wir fahren am zweiten Tag in Oftringen ein, wo nochmals Dinge im Keller verstaut werden und nun geht es wirklich los. Die Schweiz durchqueren wir entlang des Juras auf den offiziellen Velowegen, welche gut geteert sind. Da wir jedoch noch immer auf Post warten haben wir keinen Stress in den ersten Wochen. So nehmen wir die Route via Solothurn, Biel, Coudrefin, Yverdon, Lausanne nach Genf wo wir auch noch eine Nacht bleiben, weil die neue Sim-Karte von Nadine, welche sich nur in der Schweiz aktivieren lässt, einen Tag nach uns eintrifft. Zusammen mit den Ersatzteilen, welche im selben Brief eintrafen, ging es nun das erste Mal über eine Grenze und ins zweite Land. Frankreich.

Da wir beide Menschen der Sonne sind und der innere Sonnenakku allmählich zu schwinden beginnt, beschliessen wir die Via Rohna, einen Veloweg in Frankreich, welcher ans Mittelmeer verläuft, zu verfolgen. Die Route war kaum zu verfehlen und direkt ab Genf ausgeschildert. Sie folgt ziemlich exakt dem Flussverlauf der Rhône. Über gefühlt hunderte Brücken geht es allmählich und mit wenigen Höhenmeter einmal Quer durch das Rohnental und die Camarque ans Mittelmeer, wo wir dann Mitte November auch ankommen werden. Das Wetter bis hier hin war schlichtweg perfekt. Leider auch etwas traurig, da es gemäss Aussagen von Ortsansässigen der wärmste Herbst seit der Wetteraufzeichnung war.

November 2022

Wir kommen immer mehr in unseren Rhythmus. Aufstehen, Kaffee kochen und Zmörgelen. Camp zusammenpacken, die Velos wieder neu bepacken und weiterfahren. Unterwegs essen, sich die Gegend anschauen und beim Einbruch der Dunkelheit einen Schlafplatz suchen. Das alles war nach nun über zwei Wochen so langsam in eine gewisse Routine übergegangen. Trotzdem ist es noch lange nicht natürlich und fällt uns beiden trotzdem noch etwas schwer. Der aufziehende Winter macht es uns beiden weiterhin nicht einfach. Nadine hat oft kalt und hat Schwierigkeiten sich in einer Nacht vollständig zu erholen. Zu diesem Zeitpunkt haben sich unsere Körper an die tägliche Belastung des Velofahrens gewöhnt. Wir manövrieren mit den Packeseln als hätten wir kein Gepäck dabei und selbst der Popo war Abends noch immer ohne Schmerzen. Trotzdem mussten wir beginnen etwas langsamer zu fahren. Immer öfters gingen wir zum Schlafen irgendwo hinein, anstatt im Zelt zu bleiben. Es begann sich also ganz allmählich eine Veränderung anzuzeigen.
Das Fazit nach täglichen Gesprächen war, dass wir schlichtweg zu viel Zeit verloren hatten mit dem effektiven Start. Einen Monat eher zu starten hätte wohl nicht dazu geführt, dass wir vor der spanischen Grenze beschlossen, dass wir noch bis Barcelona fahren und uns dort neu sortieren würden. Kaum war diese Entscheidung getroffen und laut ausgesprochen, war uns plötzlich auch der Herr über das Wetter wieder gnädig und hat wohl als Zeichen der richtigen Entscheidung uns erst einmal Sonne und einen Raketenwind beschert. Die Überfahrt von Frankreich nach Spanien war eine flotte Abfahrt von sicherlich 50km mit einer Geschwindigkeit von teilweise 45km/h ohne gross treten zu müssen. Es war ein Tag, wo wir beide im Rausch der Geschwindigkeit die Diskussionen der letzten Tage vergessen hatten. In Spanien angekommen sind wir nicht nur in einem neuen Land, sondern auch auf uns allein gestellt. Der GPS Track des Eurovelo 8 hat sich als praktisch nutzlos herausgestellt. Somit suchen wir uns unseren eigenen Weg nach Barcelona. Im Zick Zack und mal mehr oder weniger nah am Meer, geht es Richtung Süden, wo wir am 22. November tatsächlich mit unseren Fahrrädern in Barcelona einfahren.

Wir bleiben 10 Tage. Erst in einem tollen Einzelzimmer Hostel, welches leider unsere Velos nicht sicher verstauen lässt, und danach in einem Air BnB eines Belgiers, welcher nach Barcelona ausgewandert ist. Die Zeit verfliegt und wir kommen etwas an. Plötzlich ist da diese neue Idee. Warum nicht trotzdem auf die Kanaren? Aber nicht mehr mit dem Velo sondern nur mit dem Rucksack? Dagegen sprechen die einmaligen Erlebnisse unterwegs, draussen auf der Strasse. Erlebnisse welche mit dem Rucksack so nicht mehr erlebt werden. Man wird nicht mehr im Park von Lyon von einer Seniorenreisegruppe mit den Rufen: «Bon courage!» angefeuert, als wären wir bei einem bekannten Velorennen. Man verquatscht sich mit dem Rucksack nur selten an einer Kreuzung mit einem anderen der einen Rucksack trägt, mit dem Fahrrad hatten wir ein tolles Gespräch mit einer Familie aus dem Wallis, welche schon zwei Jahre mit dem Velo unterwegs ist. Auf dem Velo haben wir tägliche Fitness und einen Freipass für alles was unser Herz an Süssigkeiten begehrt. Die vielen einmaligen Schlafplätze draussen in der Natur welche wegfallen: mitten im Wald, am Rande einer Kiwi Plantage, auf dem Feld eines Bauers, nahezu im Jagdgebiet uvm. Es ist also keine einfache Entscheidung, die es zu treffen gilt und so endet der November ohne, dass etwas entschieden ist.

Dezember 2022

Auf einmal fügt sich einiges wie von allein zusammen. Plötzlich finden wir dieses Angebot eines schweizerischen Reiseunternehmens, welche mit einem Reisebus wöchentlich von der Schweiz nach Spanien und zurück fährt. Sogar mit Anhänger und wir können unsere Velos einfach da reinschieben. Einfacher und billiger als mit Easyjet oder dem Zug. Wir buchen. Die Fahrt startet ausserhalb von Barcelona und dauert knapp 13 Stunden. Der Bus ist komfortabel und wir können schlafen. Die Ironie könnte nicht grösser sein, dass wir die Strecke welche wir in 36 Tagen gefahren sind, innerhalb nur einer Nacht wieder zurück rauschen. Bei Schneeregen und minus Graden packen wir unsere Velos das letzte Mal, um von der Autobahnraststätte Gunzgen, wo wir aus dem Bus gestiegen sind, nach Oftringen zu fahren.

Die nächsten Tage waren komisch. Irgendwie zurück aber doch nicht zurück. Irgendwie wieder hier obwohl man vor einem Monat erst Abschied genommen hat. Nach ein paar schönen Tagen in der Schweiz mit Freunden und Familie, haben wir alles organisiert um in Basel in den Flieger zu steigen und den Winter definitiv hinter uns zu lassen.

In Teneriffa angekommen beschliessen wir uns erst einmal ein paar Tage Zeit zu geben. Uns an das neue Umfeld anzupassen und Santa Cruz zu erkunden. Nach einigen Tages des Sightseeings überkommt uns doch wieder die Lust die Insel nach unserem Zeitplan und nicht jener der Guaguas zu erkunden. Also schnell einen Mietwagen organisiert und schon sind wir wieder mit Sack und Pack und vier Rädern unterwegs. Die Fahrt geht einmal im Gegenuhrzeigersinn um Teneriffa. Wir geniessen die Wärme, die Sonne und die Natur, welche die Insel zu bieten hat. Wir wandern und entdecken kleine Pfade, welche irgendwohin führen. Doch plötzlich müssen wir uns umorganisieren. Durch einen Tipp eines österreichischen Volunteers welcher uns erklärt, dass gerade jetzt vor Weihnachten die Hauptsaison auf Teneriffa anbricht, sei es teilweise schwer eine preiswerte Unterkunft um die Feiertage zu kriegen. Dank diesem Ratschlag finden wir noch eines der letzten Zimmer am oberen Ende unserer Preisvorstellung und ziehen ausserhalb von Tequeste in ein Air BnB. Die Unterkunft hat sechs Zimmer und wird gemeinsam mit den Besitzern bewohnt. Dass gerade Hauptsaison ist, bekommen wir dann auch zu spüren, weil plötzlich das Haus voll ist mit einer jungen französischen Familie, zwei Argentinierinnen, einem Engländer, welcher auf die harte Tour lernen musste, dass es zwei Flughafen auf der Insel gibt und er am anderen Ende seines Wunschortes gelandet ist, sowie zwei mittelalten Französinnen. Alles in allem ein wilder Mix, mit den Besitzern und uns zweien. Trotzdem wird es ein witziges und geselliges Weihnachten mit diesen Leuten. Zuerst ist es etwas steif, da wir nicht wirklich wissen wer zu wem gehört, weil irgendwie jeder mit jedem spricht, doch wir weder Französisch noch Spanisch gut genug beherrschen, um den Gesprächen folgen zu können. Doch wie so oft hat der Wein und das Bier geholfen die Barrieren zu brechen und es wurde ein ausgelassenes Fest mit viel Gelächter.

Die nächsten Tage verbringen wir wieder mit dem Entdecken der Insel. Schliesslich haben wir ja noch unser Mietauto. Doch so langsam brauchen wir etwas mehr als nur schlafen, essen, entdecken und wieder schlafen. Uns fehlt es ein bisschen an einer Aufgabe. Auch haben wir das Gefühl, dass Teneriffa zwar schön ist, doch es auf den Kanaren wohl noch etwas ursprünglicheres geben muss. Weniger Menschen, weniger Infrastruktur, weniger Stadt. Wir beginnen also auf Workaway die verfügbaren Projekte zu durchforsten und bleiben bei einem Projekt einer Permakultur Finca auf El Hierro hängen. Die Besitzer scheinen da etwas geniales aufgebaut zu haben und benötigen Hilfe bei Dingen die wir können. Zwar nicht direkt in unserem Zeitrahmen, doch warum nicht trotzdem mal anschreiben?

Es kommt wie es kommen muss. Die anderen Projekte, die wir kontaktieren geben keine Antwort, einzig Christina und Karsten antworten ziemlich rasch und mit jener Antwort die wir zwar erhofft aber nicht mit gerechnet haben. Es hat sich etwas ergeben, dass sie weitere Volontäre benötigen und sie gerne mit uns telefonieren würden.

Das Gespräch verlief positiv und das Angebot ist per sofort auf die Finca zu kommen. Auf einmal heisst es also den gemütlichen Rhythmus zu brechen, wo alles innerhalb von Tagen oder Wochen entschieden wurde. Der Air BnB Gastgeber ist zwar nicht erfreut, dass wir eine Woche eher abreisen als gebucht, doch kann er uns nicht zwingen zu bleiben. Also sausen wir noch vor dem Jahreswechsel mit dem Bus einmal quer über Teneriffa nach Los Christianos wo die Fähre nach El Hierro ablegt und beginnen noch im alten Jahr ein neues Kapitel dieser Reise. Wir bleiben für zwei Monate. Vielleicht auch noch länger. Mal schauen. Bis zum nächsten Bericht!

Schön hast du bis hier gelesen. Liebe Grüssse vom antiken Ende der Welt.
Nadine & Yannick

Bilderbuch